IN CIRCUIT ARTIST IN RESIDENCE 2025
Am 15. Juli trat die Jury zusammen, um aus zahlreichen qualifizierten Bewerbungen eine Auswahl zu treffen. Der interdisziplinär zusammengesetzte Beirat bestand in diesem Jahr aus:
- des. Luise Junghans – Kunsthistorikerin, Vorstand Kunsthof NIA e.V.
- Vitor Mattos – Bildender Künstler und Stipendiat 2024
- Prof. Louise Walleneit – Bildende Künstlerin, Kuratorin und Gründerin des Kunsthofs Niederarnsdorf
- Ute Hartwig-Schulz– Künstlerin und Künstlerische Leitung Künstlergut Prösitz e.V.
Die vier ausgewählten Stipendiatinnen werden ihren gemeinsamen Arbeitsaufenthalt ab dem 22. August auf dem Kunsthof Niederarnsdorf beginnen und die Region durch Veranstaltungen und Begegnungen aktiv einbeziehen.
Vorstellung der Künstlerinnen und Arbeitsvorhaben
Funda Zeynep Ayguler
lebt und arbeitet in Weimar
lebt und arbeitet in Weimar
Die multidisziplinäre Künstlerin Funda Zeynep Ayguler verknüpft Medienkunst, Architektur, ökologische Forschung und poetische Technologie in ortsspezifischen Installationen, die die Verbindung zwischen Mensch und Umwelt neu befragen. In ihrer künstlerischen Forschung interessiert sie sich für das Unsichtbare, das Mikroskopische, das oft Übersehene – insbesondere für die Rolle mikrobiellen Lebens in unseren lokalen Ökosystemen.
Für die Residenz auf dem Kunsthof Niederarnsdorf entwickelt sie ein Gemeinschaftsprojekt, das sich mit den Mikroökologien von Boden- und Wasserlandschaften im Altenburger Land auseinandersetzt. Durch partizipative Sampling-Aktionen, geführte Beobachtungen und eine multisensorische Installation möchte sie die verborgenen Prozesse sichtbar machen, die unser ökologisches Gleichgewicht tragen. Dabei wird die regionale Bevölkerung aktiv einbezogen – nicht nur als Betrachtende, sondern als Mitforschende.
Ausgehend von ihrer experimentellen Arbeit mit Winogradsky-Säulen will Ayguler eine künstlerisch-wissenschaftliche Annäherung an ökologische Verantwortung und interspezifische Verbundenheit schaffen. Ihre Installation versteht sich als Einladung zum Perspektivwechsel: weg vom rein anthropozentrischen Blick – hin zu einer vielstimmigen Choreografie des Lebens, in der auch Mikroorganismen als aktive Mitgestalter einer nachhaltigen Zukunft erscheinen.
So entsteht ein lebendiges Bild ökologischer Koexistenz, das Kunst und Forschung, Gemeinschaft und Umwelt in einen poetischen wie präzisen Dialog versetzt.
Henriette Aichinger
lebt in Leipzig / arbeitet am Lindenau-Museum Altenburg
lebt in Leipzig / arbeitet am Lindenau-Museum Altenburg
Henriette Aichinger ist Performance-Künstlerin und Kunstvermittlerin mit einem besonderen Interesse an den Erzählungen, die Orte prägen – und an den Spuren, die sich durch Zeit, Erinnerung und Begegnung darin einschreiben. In ihrer Arbeit verbindet sie performative Praxis mit künstlerischer Forschung und entwickelt Formate, die kollektive Wahrnehmung, Bewegung im Raum und nicht schriftlich fixierte Narrationsformen zusammenführen.
Für ihre Residenz in circuit 2025 auf dem Kunsthof Niederarnsdorf möchte Aichinger den Ort als Speicher und Generator von Geschichten befragen: Was war er? Wo befindet er sich jetzt? Welche Schichten von Erinnerung und Bedeutung lagern sich gerade in diesem Moment an? Was muss erzählt werden – und von wem? Sie sammelt Fotografien, Interviews, Zeichnungen und Archivmaterial, um daraus einen performativen Spaziergang zu entwickeln, der den Kunsthof und seine Umgebung in eine lebendige Erzählung verwandelt.
Die Performance versteht sie als temporäres, gemeinschaftliches Ereignis: Die Bewegung einer Gruppe durch den Ort wird selbst zum Träger von Erinnerung, der sich in die Körper der Teilnehmenden einschreibt. Dabei interessiert sie besonders, was nach der Erzählung bleibt, ob es festgehalten werden muss – und wie nachhaltig das Erzählen selbst ist. Inspiriert von mündlichen Traditionen legt Aichinger den Fokus auf unmittelbare, körperliche und vergängliche Formen des Erinnerns.
Ihre künstlerische Arbeit speist sich aus Erfahrungen in interdisziplinären Projekten mit Stadtplaner:innen, Pädagog:innen und Museumspublikum. In Niederarnsdorf möchte sie den Kern der gesammelten Geschichten aus einer neuen Perspektive betrachten und ihn in einer performativen Inszenierung zurück in den Ort geben – als Einladung an die Besucher:innen, mitzuhören, mitzubewegen und mitzuerzählen.
So entsteht ein Werk, das zugleich vergänglich und bleibend ist: ein Spaziergang, der den Kunsthof Niederarnsdorf in eine Erzählung einschreibt, die mit jedem Durchschreiten neu beginnt.
Judith Miriam Escherlor
lebt und arbeitet in Leipzig
lebt und arbeitet in Leipzig
Judith Miriam Escherlor ist Medien- und Textilkünstlerin mit einem ausgeprägten Gespür für partizipative Prozesse, gesellschaftlichen Zusammenhalt und die transformative Kraft handwerklicher Praktiken. In ihrem Projekt Textile Dialoge – Gemeinschaft, Ästhetik und ländliche Transformation verknüpft sie soziale Recherche mit gestalterischer Feinfühligkeit. Der Fokus liegt dabei auf dem gemeinsamen Sticken – einer alten, oft weiblich konnotierten Kulturtechnik, die sie als Mittel für sozialen Austausch und kollektives Erinnern versteht.
In Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Spaltung, die nicht zuletzt in den politischen Entwicklungen Thüringens sichtbar sind, setzt Escherlor ein klares Zeichen für Begegnung, für Austausch, für Empathie durch gemeinsame künstlerische Praxis. Ihr Projekt auf dem Kunsthof Niederarnsdorf zielt darauf ab, neue Räume für Verbindung zu schaffen. Menschen aus der Region sind eingeladen, an gemeinsamen Stickterminen teilzunehmen. Dabei entsteht nicht nur ein textiles Kunstwerk, sondern auch ein Netzwerk gelebter Geschichten, Gedanken und Gesten.
Die entstehenden Stoffe – bestickt mit individuellen Erzählungen und Mustern – dienen zugleich als Träger kollektiver Erinnerung und als Ausgangspunkt für weiterführende Begegnungen.
So wird das textile Arbeiten im wörtlichen wie im übertragenen Sinn zum sozialen Gewebe. Es entsteht ein Raum der Nähe, in dem der Blick für das Gegenüber geschärft wird, in dem Schweigen sprechen darf, und in dem Muster nicht nur aus Garn, sondern aus Beziehungen gewoben werden. Ein Kunstprojekt, das sanft und entschlossen zugleich dem Gefühl der Entfremdung etwas entgegensetzt: eine fein gesponnene Allianz aus Handwerk, Menschlichkeit und Dialog.
Silke Koch
lebt und arbeitet in Berlin und Leipzig
lebt und arbeitet in Berlin und Leipzig
Silke Koch widmet sich in ihrer künstlerischen Arbeit dem Wandel unserer Alltagskultur – mit einem besonderen Blick auf den Gebrauch, die Erinnerung und die Wiederverwertung häuslicher Gegenstände. In ihrer Residenz am Kunsthof Niederarnsdorf möchte sie in einen direkten Dialog mit der ländlichen Bevölkerung treten und den Geschichten nachspüren, die sich in Dingen wie Vasen, Thermoskannen oder Tassen eingeschrieben haben.
Im Zentrum steht dabei die Frage: Was erzählen diese Objekte über das Leben, die Gewohnheiten und den Wandel in der Region? Werden sie weitergegeben, ausrangiert, repariert oder recycelt? Aus gesammelten Objekten – Fundstücken, Mitbringseln, Flohmarktfunden und persönlichen Beiträgen – entstehen sogenannte „Thüringer Plastiken“. Jede dieser skulpturalen Assemblagen aus Alltagsgegenständen sind mit einer individuellen Verwendungsgeschichte versehen.
Die Plastiken verknüpfen Herkunft und Erinnerung, Privatheit und kollektives Gedächtnis, mal humorvoll, mal poetisch, stets mit einem wachen Blick für soziale Kontexte. Sie schaffen Anlass zur Reflexion über Konsum, Nachhaltigkeit und Wertschätzung im Umgang mit Dingen. Gleichzeitig laden sie zum Gespräch ein, indem sie Schichten von Gebrauch, Geschichte und Gestaltung offenlegen.
Mit großer Offenheit und Neugier blickt Koch auf die Begegnungen vor Ort, auf die Gespräche, Objekte und Erzählungen, die das Projekt prägen und in die Formensprache ihrer Plastiken einfließen werden. So entsteht ein partizipativer, künstlerischer Resonanzraum zwischen den Menschen und ihren Dingen – und nicht zuletzt: ein vielschichtiges Porträt des heutigen ländlichen Thüringens.
Im Rahmen des Projekts “Stadt.Land.Kult(o)ur – demokraTISCH unterwegs” findet 2025 die erste Künstlerresidenz am Kunsthof NIA statt. Die ausgewählten Künstler:innen kommen aus dem Bereich der Bildenden Kunst und künstlerischen Forschung. Das Residenzprogramm ist Teil des Programms Aller.Land – zusammen gestalten. Strukturen stärken.“. Es richtet sich an Positionen, die sich durch gesellschaftliche Relevanz, regionale Verankerung und experimentelle Ansätze auszeichnen.
„Aller.Land – zusammen gestalten. Strukturen stärken.“ ist ein Programm für Kultur, Beteiligung und Demokratie. Es richtet sich an ländliche, insbesondere strukturschwache ländliche Regionen in ganz Deutschland. Gefördert wird „Aller.Land“ durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und das Bundesministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat (BMLEH) sowie durch die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Programmpartner ist das Bundesministerium des Innern (BMI). Der Bund stellt für das Programm von 2023 bis 2030 insgesamt 69,4 Millionen Euro aus dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung und Regionale Wertschöpfung (BULEplus) sowie aus Mitteln der bpb zur Verfügung.
Das Artist in Residence Programm wurde weiterhin anteilig gefördert von der Kulturstiftung Thüringen.